Herr Müller, die Handelskammer schlägt vor, die Straßenbahn für acht Wochen aus der Obernstraße zu nehmen, um zu sehen, welchen Effekt das für die Innenstadtbelebung hat. Die Grünen sind dagegen, die SPD eher dafür. Was halten Sie von der Idee?
Hajo Müller: Aus unserer Sicht wäre das zum gegenwärtigen Zeitpunkt absolut kontraproduktiv. Wir mussten wegen der Corona-Krise starke Einbußen bei den Fahrgastzahlen hinnehmen und erholen uns gerade erst wieder. In dieser Phase das Angebot einzuschränken, wäre ein völlig falsches Signal.
Weil Sie es sagen – es sind nur acht Wochen. Wo soll in einer so kurzen Phase der Erkenntnisgewinn liegen? Es reicht ja nicht, die Obernstraße bahnfrei zu machen. Sie müsste gleichzeitig ganz anders bespielt werden als bisher, mit viel Außengastronomie zum Beispiel, mit etwas, das Eindruck macht und echte Aufenthaltsqualität schafft. Foodstände aufzubauen, dazwischen ein paar Palmen, wäre nur Budenzauber und würde eben nicht vermitteln, dass die Obernstraße ohne Straßenbahn möglicherweise mehr Wirkung entfaltet.
Trotzdem – warum immer gleich alles verwerfen? Wird Ihr Angebot denn tatsächlich so massiv eingeschränkt, nur weil die Fahrgäste durch den Umweg über die Neustadt ein paar Minuten länger in der Bahn sitzen? Und ist es nicht zumutbar, von der Domsheide oder vom Brill zur Obernstraße zu laufen? Die paar Meter ...... sind für ältere Menschen und für Gehbehinderte eine beachtliche Entfernung. Das sollte man bedenken. Außerdem verkennen Sie die Bedeutung der Haltestellen in der Obernstraße und der Hutfilterstraße. Wir haben dort einen Durchlauf von 6,6 Millionen Fahrgästen pro Jahr. Ein Drittel davon nutzt die Haltestellen zum Ein- und Ausstieg. Das ist eine Menge.
Da gebe ich Ihnen recht, es ist die Zeit zum Handeln. Purer Aktionismus bringt doch aber nichts. Bei unserem Thema würde man etwas übers Knie brechen, das aus den erwähnten Gründen keinen sinnhaften Effekt ergäbe.
Was stattdessen?Besser wäre ein ganzheitliches Konzept. Dabei könnte man in der Obernstraße zum Beispiel bewusst mit der Straßenbahn planen. Sie nicht verbannen, sondern stärker integrieren. Wegen der Bahn müsste man nicht automatisch auf Cafés oder anderes verzichten. Das erleben sie in Straßburg, Lyon, Barcelona, in vielen anderen Städten.
Letzter Versuch, Sie werden gähnen bei der Frage, weil sie schon so oft gestellt wurde. Der Vorschlag schafft es aber immer wieder auf die Bühne: Die Straßenbahn von der Obernstraße in die Martinistraße verlegen. Kein Umweg wie durch die Neustadt, eine weiterhin gerade Linie durch die Innenstadt hindurch.Wissen Sie, wir sind Dienstleister, bekommen Vorgaben und setzen sie um. Wenn es gewünscht wird, könnte auch so eine Variante zum Tragen kommen.
Ist so eine Variante denn überhaupt machbar?Klar, technisch wäre das kein Problem. Die Kosten, wir haben das mal ausgerechnet, würden sich auf 20 Millionen Euro belaufen. Darin eingerechnet ist allerdings noch nicht, wie der Rückbau unserer Anlagen in der Obernstraße zu Buche schlägt.
Das Gespräch führte Jürgen Hinrichs.Seit 2009 als Finanzvorstand bei der BSAG tätig: Hajo Müller
Hajo Müller (63)
ist seit elf Jahren Finanzvorstand bei der Bremer Straßenbahn AG (BSAG). Vorher hatte der Betriebswirt für die Deutsche Bahn AG gearbeitet.