Eva Kreienkamp, 58, ist seit Oktober neue Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), dem größten Anbieter des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland. Zuletzt war sie Co-Geschäftsführerin der Mainzer Verkehrsbetriebe. Dort stiegen jährlich 56 Millionen Menschen in Busse und Bahnen, in Berlin sind es 20-mal so viele: mehr als eine Milliarde Fahrgäste.

ZEIT ONLINE: Frau Kreienkamp, Ihre Vorgängerin Sigrid Nikutta fuhr gerne nachts mit Bus und Bahn durch die Stadt, um in Ruhe mit den BVG-Beschäftigten zu sprechen. Haben Sie das auch schon gemacht?

Eva Kreienkamp: Ich fahre natürlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, übrigens nicht nur in Berlin. Für mich ist und war das schon immer eine Frage der Haltung und des Lebensstils. Außerdem ist es wichtig, die Perspektive unserer Fahrgäste zu kennen. Mich interessiert aber natürlich auch, was unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.

ZEIT ONLINE: Sie sind seit Oktober Chefin der BVG, also haben Ihre Stelle mitten in der Corona-Pandemie angetreten. Wie geht es dem Unternehmen aktuell? 

Kreienkamp: Wir fahren auf Sicht. 

ZEIT ONLINE: Was heißt das?

Kreienkamp: Wir setzen alle Kompetenzen für den Gesundheitsschutz ein. Wenn wir zum Beispiel in den Leitstellen einen Corona-Fall hätten, müssten wir, drastisch gesagt, den ganzen Laden schließen. Wir rüsten auch gerade alle unsere Busse um, damit dieser wunderbare Duschvorhang, also die Plane an der ersten Tür im Fahrzeug, gegen eine Glastür getauscht wird. So können wir das Personal und die Fahrgäste besser schützen. Und es hat sich gezeigt, dass unsere verstärkten Kontrollen gegen die sogenannten Maskenmuffel Wirkung zeigen. Mittlerweile halten sich zwischen 97 und 99 Prozent der Fahrgäste an die Hygieneregeln.

ZEIT ONLINE: Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Pandemie für die BVG, wie viele Fahrgäste fehlen?

Kreienkamp: Wir sind bei etwa 70 Prozent der Fahrgäste, die wir im vergangenen Jahr hatten. Die Touristinnen und Touristen fehlen, aber auch Pendlerinnen und Pendler, die nun im Homeoffice arbeiten. Wirtschaftlich rechnen wir mit einem Verlust von 190 Millionen Euro für dieses Jahr.

ZEIT ONLINE: Springen Ihnen auch dauerhaft Ihre Jahresabonnenten ab? 

Kreienkamp: Der Anteil an gekündigten Jahresabos ist überraschend und erfreulich niedrig, er liegt bei etwa zwei Prozent. Gerade unsere Abonnenten und Abonnentinnen sind uns wirklich treu, das sind Menschen, die sich entschieden haben, ÖPNV zu fahren und das auch weiterhin tun wollen. 

ZEIT ONLINE: Wie reagieren Sie auf die wirtschaftlichen Einbußen? 

Kreienkamp: Wir wollen unser Angebot nicht reduzieren. Wir fahren das volle Angebot für alle, die uns jetzt auch wirklich brauchen. Einen Teil der geringeren Einnahmen haben wir darüber kompensiert, dass wir einige geplante Investitionen aufs nächste Jahr verschieben konnten. Aber im Wesentlichen brauchen wir Hilfe von Bund und Land aus dem ÖPNV-Rettungsschirm. Das Land Berlin hat außerdem zugesagt, Einnahmeausfälle auszugleichen. 

ZEIT ONLINE: Gibt es Prognosen darüber, wie viele Menschen in der Hauptstadt auch langfristig aufs Auto, aber auch aufs Fahrrad umsteigen? 

Kreienkamp: Dazu muss man sich die Frage stellen, wie die Welt nach Corona aussieht. Es wird eine Welt sein, in der wir sehr strenge Klimaziele erreichen müssen. Daher gehen wir davon aus, dass Corona nur eine kleine Delle ist, die kurzfristig sein wird. Die Zukunft gehört dem ÖPNV. Die Menschen werden auch in Zukunft entnervt sein vom Autofahren in der Stadt, vom Im-Stau-Stehen und Parkplatzsuchen. Unser Anspruch ist es, dass unser Angebot so stark und für jeden passgenau ist, dass alle, die uns jetzt in der Pandemie verloren gehen, wieder zurückkommen werden.

ZEIT ONLINE: Eine Berliner Bürgerinitiative will per Volksentscheid das Auto aus der Stadt verbannen. Träumen Sie auch davon?

Kreienkamp: Ich habe eher den Traum, dass der ÖPNV so gut digitalisiert wird, dass alles viel effizienter ineinandergreift. Mobilität soll Spaß machen und klimaeffizient sein. Das Auto wird dann in den Städten schlicht und ergreifend uninteressant. Das schließt ja nicht aus, dass Menschen in ländlicheren Regionen das Auto stärker nutzen oder auf dem Nürburgring auch mal rasen dürfen.