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Der Weg ist das Ziel: Verkehrswende als Kulturwende | Das Auto | bpb.de

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Der Weg ist das Ziel: Verkehrswende als Kulturwende Oder: Zur schwierigen Entwöhnung vom Auto

Weert Canzler Jörg Radtke

/ 15 Minuten zu lesen

Die vorangetriebene Verkehrswende hin zur Elektromobilität hält weiterhin am Paradigma des eigenen Automobils fest. Der postulierte Wandel läuft so auf eine bloße Antriebswende hinaus. Tatsächlich bedarf es einer Verkehrswende als Kulturwende.

Trotz der inzwischen spürbar voranschreitenden Erderwärmung und dem allgemeinen Wissen darum, dass Autoabgase nicht unwesentlich zum Klimawandel beitragen, ist die Attraktivität eines eigenen Autos in Deutschland offenbar ungebrochen: Jahr für Jahr nimmt die Zahl der hierzulande zugelassenen Pkw zu, mittlerweile sind es über 47 Millionen. Und während es in den vergangenen Jahren in allen anderen Sektoren Fortschritte bei der Reduzierung der CO2-Emissionen gab, hat sich im Verkehr, präziser: im motorisierten Straßenverkehr wenig bis gar nichts getan. Das Auto ist nicht zuletzt auch deshalb ein so großes Problem für den Klimaschutz und für den Ressourcenverbrauch, weil es ständig größer, schwerer und höher motorisiert angeboten wird. Aktuell ist das Pkw-Segment, das am stärksten wächst, das der sogenannten sport utility vehicles (SUV) und der Geländewagen, die gerade für die engen Verhältnisse der Stadt vollkommen ungeeignet sind.

Die jüngst im "Klimapaket" der Bundesregierung bekräftigte Förderung der Elektromobilität – bis 2030 sollen auf deutschen Straßen sieben bis zehn Million E-Autos fahren und mindestens eine Million öffentliche Ladepunkte zur Verfügung stehen – hält jedoch weiterhin am Paradigma des eigenen Automobils fest; so läuft der postulierte Wandel letztlich auf eine bloße Antriebswende hinaus. Tatsächlich aber bedarf es einer Verkehrswende als Kulturwende. Wie diese aussehen könnte – und welche Hindernisse ihr bislang entgegenstehen – werden wir im Folgenden skizzieren.

Hypothek der Vergangenheit

Die Dominanz des Autos ist nicht zufällig entstanden, sie war über viele Jahre politisch gewollt. Das private Auto gehörte zum bundesdeutschen "Wohlstandsmodell" im Sinne des Slogans von Ludwig Erhard "Wohlstand für alle". Es gab in der Nachkriegszeit, insbesondere seit Ende der 1950er Jahre, einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens darüber, dass das "Auto für alle" Teil eines "gelungenen modernen Lebens" sein sollte. In deutschen Städten und ebenso in anderen früh motorisierten Ländern wurde lange Zeit das Planungsideal der "autogerechten Stadt" verfolgt und insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren konsequent umgesetzt. Das Automobil galt lange Zeit als Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit, das sich in die Routinen jedes Einzelnen eingeschrieben hat. Hinzu kommt die Bedeutung des Autos als Ausdruck von Individualität. Auch wenn Pkw Massenware sind, bieten die differenzierten Modellpaletten und Ausstattungsmerkmale die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit zu unterstreichen. Sozialwissenschaftlich betrachtet ist das Auto somit viel mehr als ein technisches Vehikel. Es ist Ausdruck und Katalysator des Selbst, Sinnbild des Zusammenlebens und ein Spiegel der Gesellschaft.

Auch wenn die Ziele der heutigen Stadtentwicklungspläne mittlerweile ganz anders klingen, so ist die Hypothek der früheren Raum- und Stadtentwicklung nur schwer abzutragen. Zwar werden seit einigen Jahren in den meisten kommunalen Verkehrsplänen ein Zurückdrängen des Autos, die Förderung des öffentlichen Verkehrs und auch die Unterstützung für den "aktiven Verkehr" zu Fuß und mit dem Fahrrad gefordert. Aber der Verkehrsalltag ist nach wie vor von den Ergebnissen einer jahrzehntelangen aktiven Autoförderung geprägt.

Neben den Beharrungskräften des Automobilismus – wie der am Leitbild der "Rennreiselimousine" orientierten Autoindustrie und der Routine und Bequemlichkeit der Autofahrerinnen und Autofahrer selbst – ist die in Beton und Asphalt geronnene Realität der autogerechten Stadt eines der Haupthindernisse für eine echte Verkehrswende. Eine solche Wende hin zu anderen Verkehrsmitteln mit weniger und zudem elektrisch betriebenen Autos ist daher ein hoch ambitioniertes Vorhaben. Allein schon bei der überfälligen Elektrifizierung der Antriebe zeigt sich, wie stark die Widerstände auf Seiten der Autoindustrie, aber auch bei vielen Autofahrenden sind. Die gewohnten Standards bei der Reichweite und Tankstellendichte werden von vielen als nicht verhandelbarer Maßstab betrachtet. Dabei ist zu bedenken: Die Elektromobilität ist nur eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung für die Verkehrswende. Diese bedarf nicht nur radikaler technischer Innovationen, sondern ebenso eines umfassenden stadt- und siedlungsräumlichen Umbaus und nicht zuletzt kollektiver Verhaltensänderungen.

Es wird eng

Neben den Treibhausgasemissionen aus den fossilen Verbrennungsmotoren, die dem Klima schaden, gibt es ein weiteres Problem, das auch nach einer Elektrifizierung des automobilen Verkehrs weiterhin bestehen würde: Der motorisierte Individualverkehr benötigt einfach sehr viel Platz – und zwar sowohl wenn er fließt, als auch wenn er ruht. Private Autos stehen durchschnittlich mehr als 23 Stunden am Tag herum. Der Platzbedarf der massenhaften Autonutzung hat die Kapazitätsgrenzen vieler Städte längst überschritten, vielfach wird der öffentliche Raum dominiert von fahrenden oder stehenden Fahrzeugen. Gleichzeitig beginnt jedes Mal ein regelrechter Kulturkampf, wenn eine Kommune den öffentlichen Parkraum zurückbauen und eine andere Nutzung von Verkehrsflächen ermöglichen will. Betroffene Privatautomobilisten fühlen sich ihres Gewohnheitsrechtes beraubt, und Einzelhändler verteidigen das innerstädtische und geschäftsnahe Parken als eines der letzten Bollwerke gegen den Online-Handel.

Dabei ist der Widerstand der tatsächlichen und vermeintlichen Verlierer einer Neuverteilung des öffentlichen Verkehrsraumes zulasten des Autos oft lautstark, während sich bei den potenziellen Gewinnern einer neuen urbanen Raumnutzung wenig rührt. Diese Gruppe ist vergleichsweise leise, kaum organisiert und wird im öffentlichen Diskurs – von einigen städtischen Radinitiativen abgesehen – kaum wahrgenommen. In Zeiten der Urbanisierung steigt jedoch der Druck, den städtischen Raum besser zu nutzen. Für Kommunen wird es künftig zum einen darum gehen, den öffentlichen Parkraum systematischer und kostenorientierter zu bewirtschaften. Zum anderen wird es um eine andere Nutzung des öffentlichen Raumes gehen: Es ist kaum zu rechtfertigen, dass private Automobile mit einer beanspruchten Grundfläche von mindestens zwölf Quadratmetern pro Fahrzeug ohne oder nur für eine geringe symbolische Gebühr den öffentlichen Raum in Beschlag nehmen, der anderweitig sinnvoller genutzt werden könnte.

Das eingespielte Nutzungsverhalten der vielen Autofahrenden zu verändern, ist eine große Herausforderung. Drei Viertel der Verkehrsleistung im Personenverkehr wird vom Auto erbracht – ein annähernd konstanter Wert seit mehr als zehn Jahren. Dieses Verhalten folgt jedoch keinem Naturgesetz, sondern es ist historisch gewachsen und das Ergebnis eines jahrzehntelangen automobilzentrierten Infrastrukturausbaus einschließlich der rechtlichen Absicherung des Parkens mit einer Stellplatzpflicht und dem Gemeingebrauch der Straße für den "ruhenden Verkehr". Schließlich hat der Status quo auch mit Anreizen zu tun. Zu diesen gehören neben einer fehlenden Parkraumbewirtschaftung und dem Dienstwagenprivileg auch steuerliche Vergünstigungen wie die Entfernungspauschale und der reduzierte Steuersatz für Dieselkraftstoff. Doch wie bei jedem Abbau von Privilegien stehen auch hier Interessen von potenziellen Verlierern ("die Autobesitzer") unsicheren Vorteilen für diffuse Gewinner ("die Allgemeinheit") gegenüber – das Dilemma der konkreten Verluste versus abstrakter Gewinne.

Die Beharrungskräfte bei der Verkehrswende lassen sich im Wesentlichen durch drei Faktoren erklären: erstens technische Lock-in-Effekte wie der ausgereifte Verbrennungsmotor und das dichte Tankstellennetz, zweitens eine verfestigte Autoabhängigkeit gerade von nicht-städtischen Haushalten sowie drittens fehlender politischer Gestaltungswille angesichts des Verluste-Gewinne-Dilemmas. Dennoch finden sich immer wieder Versuche, aus der problematischen Motorisierungsdynamik herauszukommen und auf der Verhaltensseite einen Alternativweg zum privaten Automobil aufzubauen.

Ausweg Carsharing?

Schon länger gilt das Carsharing, also das organisierte Teilen von Autos als eine Möglichkeit, die vorhandenen Fahrzeuge effizienter zu nutzen. Die Hoffnung, die Mobilitätsbedürfnisse mit weniger Autos zu befriedigen, besteht schon seit Längerem. In den 1980er Jahren in der Nische der Alternativbewegung entstanden, hat sich das Carsharing mittlerweile professionalisiert. Etablierte Autohersteller haben ihre eigenen Carsharing-Angebote auf den Markt gebracht, jüngst hat beispielsweise auch der Autovermieter Sixt ein ambitioniertes Programm gestartet. Neben das stationsbasierte ist das in einem definierten Gebiet frei verfügbare, sogenannte free-floating Carsharing mittlerweile verbreitet.

In den vergangenen Jahren sind zudem Angebote privaten Carsharings entstanden, die es Privatleuten – meistens in einem nachbarschaftlichen Umfeld – erlauben, gegen ein entsprechendes Entgelt andere private Autos zu nutzen. Mithilfe von Apps der Plattformbetreiber sind Absprachen zwischen Anbieter und Nachfrager, aber auch die Lokalisierung der Fahrzeuge und die Buchung standardisierter Versicherungsleistungen einfach und zuverlässig möglich. Hier hat das Carsharing erheblich von der Durchsetzung des Smartphones und der Etablierung smarter Dispositionsalgorithmen profitiert.

Dennoch: Trotz beeindruckender Wachstumszahlen wurden die Erwartungen und Hoffnungen bislang nicht erfüllt. Zwar haben sich mehr als 2,4 Millionen Kunden bei den Carsharing-Anbietern angemeldet. Doch kann diese Zahl nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Marktanteil des Carsharings bisher sehr bescheiden ist. Nicht mehr als 20.000 Fahrzeuge werden genutzt, Reduktionen bei den Gesamtzulassungszahlen sind nicht ersichtlich, mögliche Pkw-Abmeldungen von Carsharern nicht nachzuweisen. Carsharing wird bisher vielfach als zusätzliches Verkehrsangebot genutzt oder es wird von denen als "Versicherungsoption" betrachtet, die ihren Verkehrsalltag sowieso bereits ohne eigenes Auto organisiert haben. Zwar sind Carsharing-Angebote in vielen Städten mittlerweile verfügbar, doch sind die meisten kleineren Städte und vor allem ländliche Räume noch weiße Flecken beim organisierten Autoteilen. Von einem Boom des Autoteilens kann keine Rede sein, das Carsharing ist keine verbreitete soziale Praxis. Warum ist das so?

Anreize schaffen

Offensichtlich ersetzt ein neues Angebot einer effizienteren Fahrzeugnutzung wie das Carsharing keine aktive Verkehrswendepolitik. Solange beispielsweise das Abstellen privater Autos im öffentlichen Raum wenig oder gar nichts kostet und Anwohnerinnen und Anwohner mit einer für einen symbolischen Preis erhältlichen Plakette von einer Nutzerfinanzierung sogar ausgenommen werden, gibt es auch für Carsharer keinen Anreiz, den vorhandenen Privatwagen abzuschaffen. Sie behalten ihn also einfach.

Überhaupt ist für die Verkehrswende eine neue Raumverteilung entscheidend. Ohne eine Umwidmung von Autostraßen und Parkflächen für andere Verkehrsmittel, in erster Linie für Fahrradwege und Busspuren, wird keine Flächengerechtigkeit erreicht. Es bedarf vielmehr einer konsequenten Push-and-pull-Strategie in der städtischen Verkehrsflächenpolitik. Das heißt konkret: weniger Platz für das private Auto und mehr Platz für Alternativen sowie für urbane Aktivitäten und Bedürfnisse. Zunehmend werden weitere Ansprüche an bisher für den Autoverkehr vorgehaltene öffentliche Flächen gestellt, nicht zuletzt um Wohnungen zu bauen oder soziale Infrastruktureinrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder Parks zu errichten. Um mehr Effizienz in der Nutzung öffentlicher Flächen zu erreichen, könnten schließlich geteilte Fahrzeuge im Zuge einer Staffelung von Parkgebühren bevorteilt werden. Auch das würde das Carsharing unterstützen.

Zudem müsste das Carsharing eng mit dem öffentlichen Verkehr verknüpft und letztlich zu einem integralen Bestandteil dessen werden. Mit derartigen Verknüpfungen gibt es bereits einige Erfahrungen – beispielsweise in Hamburg mit dem "switchh-Angebot" oder in Augsburg mit der "swa Mobil-Flat" inklusive E-Carsharing. Neben der tariflichen Integration und gegenseitigen Rabattoptionen ist es hilfreich, dass der Zugang über eine App oder Karte und die Abrechnung aus einer Hand möglich wird. Ein wichtiger Hebel für die angestrebte Integration ist der Zugriff und die Verfügbarkeit von Anbieter- und Nutzerdaten, was eine Pflicht zu open data, also zur öffentlichen Bereitstellung von Verkehrsdaten, unumgänglich macht.

Für die urbane Verkehrswende ist schließlich von besonderer Relevanz, dass die aktive Mobilität – also das Zufußgehen und das Radfahren – den notwendigen Platz bekommt. Fuß- und Radwege müssen breit genug sein, einen guten Untergrund haben und vor allem sicher sein. Geschützte Radwege können gerade diejenigen zum Radfahren bringen, die eigentlich das Rad nutzen möchten, sich das aber im anspruchsvollen städtischen Verkehr nicht trauen. Erfahrungen aus Dänemark und den Niederlanden, aber auch aus einigen US-amerikanischen Städten zeigen, dass Radwege dann besonders stark frequentiert werden, wenn sie durch Poller oder andere bauliche Maßnahmen von Autostraßen getrennt sind. Das Zauberwort der Verkehrsplaner heißt hier protected bike lane. Ein eigenes Fahrradwegenetz ohne gefahrenträchtige Kreuzungen mit Autostraßen, wie es beispielsweise in Neubauquartieren in der niederländischen Stadt Utrecht gebaut wurde, gilt als richtungsweisend.

Auch der öffentliche Verkehr muss künftig mehr sein als ein "Resteverwerter". Er ist aber nur attraktiv, wenn er zuverlässig und im engen Takt fährt und mit zusätzlichen flexiblen Angeboten wie Car- und Bikesharing verbunden ist. Auch das autonome Fahren bietet in diesem Zusammenhang neue Chancen. So könnten selbstfahrende Shuttles eine flexible Ergänzung für Bus- und Bahnlinien sein, sie könnten die "erste" und "letzte Meile" von der Haltestelle zur Haustür bequem und bedarfsgerecht bedienen. Shuttles, die im Bedarfsfall angefordert werden und ansonsten sich selbst disponieren, wären besonders dort hilfreich, wo es weder Bahn- noch Busanbindungen gibt oder wenn die Nachfrage am Abend oder in der Nacht einfach zu gering ist, um einen Regelbetrieb einzurichten. Damit sind sie gerade in städtischen Randlagen und auf dem Land als Zubringer zu Bushaltestellen oder Bahnhöfen interessant. Noch existieren solche Shuttles lediglich als Prototypen, sie fahren in einigen Testgebieten und ausschließlich mit Sondergenehmigungen. Ob sie das theoretische Potenzial als flexible Ergänzung des öffentlichen Verkehrs ausschöpfen können, hängt außer einigen noch zu lösenden technischen Herausforderungen davon ab, ob die rechtlichen Voraussetzungen für einen Regelbetrieb geschaffen werden und ob die Betreiber sie in ihr Angebot integrieren.

Einstellungen

In der Gesellschaft scheinen sich verkehrspolitische Einstellungen in jüngster Zeit bereits verändert zu haben. Ein gestiegenes Problembewusstsein und eine bisher unbekannte Offenheit gegenüber der anstehenden Verkehrswende sind zu beobachten. Vielfach wird eingesehen, dass eine Wende ohne Restriktionen im Verkehr nicht möglich sein wird. Diese Einstellungsänderungen sind nicht zuletzt verkehrspolitisch relevant. Denn Maßnahmen, die auf den Abbau der Privilegien des privaten Autos zielen, galten lange als "politischer Selbstmord". Nunmehr ist eine größere Unterstützung auch von Vorschlägen wie einer Umwidmung von Autofahrstreifen zu Busspuren oder Radwegen erkennbar. Temporäre Fahrverbote für besonders emissionsbelastende Dieselfahrzeuge finden ebenso deutliche Mehrheiten. Selbst bei einem Tempolimit auf Autobahnen, was viele Jahre als verkehrspolitisches No-Go behandelt wurde, ließe sich möglicherweise eine Mehrheit finden.

Eine Trendwende könnte schließlich auch durch den Generationenwechsel befördert werden. Die Langzeitstudie des Umweltbundesamtes zum Umweltbewusstsein der Deutschen zeigt auf, dass insbesondere die Bedeutung des Automobils als individuelles Eigentum bei jüngeren Menschen nachlässt, auch gibt es mehr Aufgeschlossenheit gegenüber einer Umgestaltung von Kommunen, um die Angewiesenheit auf das Auto zu reduzieren. Allerdings zeichnet sich auch das Bild ab, dass Mobilität im Leben der jüngeren Generation eine erhebliche Rolle spielt – der Verzicht auf Flugreisen scheint wenig kompatibel mit dem Ideal weltweit vernetzter Menschen des 21. Jahrhunderts. Dennoch ist der Wandel gerade beim eigenen Auto sichtbar: Jüngere Menschen besitzen deutlich weniger Pkw, Carsharing wird hingegen häufiger praktiziert.

Bemerkenswert ist zudem ein erheblicher Geschlechterunterschied: Frauen legen insgesamt weniger Kilometer zurück und das sehr viel weniger mit dem Pkw als Männer. Dies mag in Teilen Lebensumständen geschuldet sein – aber nicht nur, denn die Unterschiede bestehen insgesamt unabhängig vom Lebensalter. Die Aufgeschlossenheit gegenüber einem nachhaltigen Lebensstil wird auch dadurch unterstrichen, dass sich mehr Frauen vegetarisch ernähren und häufiger grün wählen als Männer. Ist Autofahren also Männersache? So einfach ist es sicher nicht, aber zweifelsohne verkörpert das Automobil Merkmale, die insbesondere von Männern als attraktiv gewertet werden.

Verkehrspolitik im Umbruch

Insgesamt scheint nunmehr Bewegung in ein Politikfeld zu kommen, das oft als vermint betrachtet wurde und in dem starke Vetospieler wie die Autoindustrie, der ADAC oder mitunter auch das Verkehrsministerium eine Verkehrswende mit einer Stärkung der Alternativen zum privaten Auto unwahrscheinlich machten. Die fehlenden klimapolitischen Fortschritte, der Dauerstau vielerorts, die aufgekommene Diskussion um Flächengerechtigkeit in den Städten und nicht zuletzt die sogenannte Dieselkrise um manipulierte Abgaswerte erlauben ein "Weiter so" nicht mehr. Mittlerweile lässt sich ein neuer Mainstream in den Debatten identifizieren: Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell – die Elektrifizierung kommt. Der Strategiewechsel von Volkswagen und das Umsteuern einiger großer Zulieferer in Richtung Elektromobilität beschleunigen den Prozess auch faktisch.

Beim zweiten technologischen Wandel, der Automatisierung von Fahrfunktionen, ist allerdings noch offen, ob der Schwerpunkt bei der Aufrüstung und damit bei der "Laufzeitverlängerung" des klassischen Privatautos liegt. Dann würde es darum gehen, das automatisierte Fahren auf der Autobahn, das sogenannte platooning, sowie ein Feature für eigenständiges Parken als Regelfunktion einzuführen. Ansonsten würde sich nichts ändern, das alte Auto-Leitbild wäre unangetastet. Bisher forschen und entwickeln die Autohersteller schrittweise auf diesem Innovationsweg. Alternativ bietet sich ein radikal anderes Zukunftsmodell an: nämlich sich selbst disponierend agierende Fahrzeuge zu entwickeln, die sich nicht in individuellem Besitz der Nutzer befinden, sondern Teil einer Mobilitätsdienstleistung sind. Daran arbeiten derzeit kalifornische Digitalunternehmen. Dieser Entwicklungspfad ist riskanter, zugleich würde er den Abschied von der traditionellen Automobilität – im wörtlichen Sinne: der Selbstbeweglichkeit – bedeuten. Denn wirklich autonom fahrende Fahrzeuge erlauben es den Nutzern nicht mehr, selbst zu steuern. Die damit verbundenen ethischen Fragen und die Haftungsübernahme sind ebenso wenig beantwortet wie die Frage, wie eigentlich der Verkehrsraum und letztlich auch der städtische Raum angepasst werden müssen.

Am Trend zur Elektrifizierung und mehr noch an dem zur Automatisierung zeigt sich, dass es dabei nicht nur um technische Entwicklungen allein geht. Die Realisierung bestimmter technischer Varianten wird nur möglich, wenn die rechtlichen und infrastrukturellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Zugleich bedürfen sie der Akzeptanz sowohl auf Nutzerinnen- und Nutzerseite als auch bei den Stadtbewohnerinnen und -bewohnern. Damit verbunden sind tief greifende Änderungen im Nutzungsverhalten. Aber gerade im Verkehr sind Verhaltensänderungen schwierig herbeizuführen, weil Verkehrshandeln üblicherweise Routinehandeln ist und Routinen besonders resistent gegenüber Veränderungskräften sind.

Fazit und Ausblick

Weil der Verkehrssektor ein erhebliches Problem für den Klimaschutz ist und der zunehmende Platzbedarf des deutschen Pkw-Bestandes die Frage nach mehr Flächengerechtigkeit in der Stadt immer drängender werden lässt, steigt der politische und gesellschaftliche Handlungsdruck. Zugleich sind die Beharrungskräfte immens, denn nicht nur die Verkehrsinfrastruktur, sondern auch die Siedlungs- und Lebensweisen eines großen Teils der Gesellschaft sind seit Jahrzehnten auf das private Automobil hin ausgerichtet. Es bestehen somit mehrfache Pfadabhängigkeiten. Zugleich ist die Verkehrspolitik ein komplexes Politikfeld, in dem radikale Reformansprüche bisher als "politisch suizidal" galten.

Hinzu kommt, dass eine Verkehrswende viel mehr als eine – auch für sich genommen schon hochambitionierte – Antriebswende ist. Sie ist mit einem grundlegenden stadt- und siedlungsräumlichen Umbau verbunden, sie bedarf völlig neuer rechtlicher und steuerlicher Rahmenbedingungen und kommt ohne einen umfassenden Kulturwandel nicht aus. Das bedeutet sehr viel Veränderung auf einmal und ist somit kaum wahrscheinlich – im Sinne eines kurzfristig zu erreichenden Ziels. Es spricht daher viel dafür, mit kleinen Schritten zu beginnen und zunächst Pilotversuche und Experimente für eine alternative Mobilität zu starten.

Experimente im Verkehr müssen überschaubar sein und revidiert werden können. Sie sollten zunächst in Kommunen stattfinden, in einzelnen Quartieren, auf ausgewählten Straßen oder Gewerbehöfen. Doch selbst wenn eine Kommune einen Versuch starten möchte, verfügt sie oft nicht über die nötigen Kompetenzen und Mittel. Pilotversuche für die Verkehrswende beginnen daher damit, dass auf Bundesebene die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Kommunen überhaupt handeln können. Sie brauchen Rechtssicherheit, Knowhow und einen Anreiz, auch Risiken einzugehen. Hierfür kann auf Ebene des Bundes viel getan werden, Experimentierklauseln können ausgeweitet, Wettbewerbe ausgeschrieben und ein Wissenstransfer organisiert werden.

Schließlich brauchen Kommunen positive Beispiele – und da hilft der Blick ins Ausland. Beim Radverkehr sind Kopenhagen und Utrecht und beim Ab- und Rückbau von Parkplätzen Amsterdam und Brüssel besonders ambitioniert. Dort wird die Verkehrswende von den Bewohnern mittlerweile breit unterstützt, weil die Vorteile sicht- und erlebbar sind. Es zeigt sich bei diesen Best-Practice-Beispielen, dass sich eine neue Verkehrskultur erst im Prozess der Transformation entwickelt. Insofern ist der Weg das Ziel.

ist habilitierter Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Er ist zudem Sprecher des Leibniz-Forschungsverbundes Energiewende und Autor mehrerer Bücher zu Mobilität und Energie. E-Mail Link: weert.canzler@wzb.eu

ist promovierter Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Siegen. Er ist Sprecher der Themengruppe Energietransformation der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. E-Mail Link: radtke@politikwissenschaft.uni-siegen.de