Die letzten hundert Meter ihres Schulwegs sind für Viola Paa oft stressig. Kurz vor Schulbeginn verwandeln Dutzende Elterntaxis die engen Wohnstraßen rund um das Goethe-Gymnasium in Stolberg bei Aachen in einen gefährlichen Hindernisparcours. Viele Autos sind hier zu schnell unterwegs, scheren plötzlich aus, versperren Straßen und Gehwege. Türen werden abrupt geöffnet. Ein paar Mal wurde die 18-Jährige auf ihrem Rad fast gerammt.

Ende September konnte sie für ein paar Tage durchatmen. Die Stadt hatte die Zufahrtsstraße zu ihrer Schule für Autos gesperrt. Das Konzept dafür hatte Paa mitentwickelt.  

Ein Jahr lang hatte Paa mit ihren Mitschülern und Mitschülerinnen in einer AG den Verkehr rund um das Gymnasium genau analysiert und neu strukturiert. Die Heranwachsenden wollten die Routen zur Schule sicher machen. Sie wollten, dass alle Kinder und Jugendlichen morgens wenigstens die letzten paar Hundert Meter allein zu Fuß, per Rad oder E-Kick-Scooter zum Unterricht gelangen könnten. Mithilfe eines Verkehrsplaners erstellten sie einen Schulwegeplan, der unter anderem sämtliche Autos aus dem direkten Umfeld der Schule verbannte. Einige ihrer Vorschläge haben der Bürgermeister und die Stadtverwaltung im Rahmen der europäischen Mobilitätswoche getestet. Bald sollen sie dauerhaft umgesetzt werden.

Für die Politik waren die engagierten Schüler und Schülerinnen ein Glücksgriff. Stolberg hat ein Klimaproblem. Der Verkehr produziert hier rund ein Drittel der Treibhausemissionen. Das ist deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt, wo der Anteil bei einem Fünftel liegt. Für 75 Prozent aller Wege nimmt die Bevölkerung in Stolberg das Auto, drei Prozent das Fahrrad und zwölf Prozent gehen zu Fuß. "Langfristig funktioniert das nicht mehr, wir müssen umdenken und nachhaltiger unterwegs sein", sagt Georg Trocha, Mobilitätsmanager der Stadt. Die autofreien Tage rund ums Goethe-Gymnasium sollten dafür ein Test sein.

Drei Elternhaltestellen

Der Aufwand war gering. Die Zufahrtsstraße wurde mit Baustellenbaken gesperrt und in zwei Straßen galt außerdem absolutes Halteverbot. Lehrer und Eltern wussten Bescheid und auch die Anwohnerinnen und Anwohner waren informiert. Sie hatten ihre Fahrzeuge in Garagen oder Einfahrten abgestellt statt am Fahrbahnrand. Für die Eltern gab es drei sogenannte Elternhaltestellen in 250 bis 450 Meter Entfernung rund um die Schule an Supermärkten und einem ehemaligen Schwimmbad. Von dort konnten die Schülerinnen die verbleibende Strecke sicher und entspannt zur Schule laufen. Das Zufahrtsverbot galt auch für die Lehrerschaft.

Georg Trocha war überrascht. Eigentlich hatte er mit Beschwerden von den Anwohnern gerechnet. Aber die Resonanz war gut. Die meisten der rund zwei Dutzend Rückmeldungen waren positiv. "Die Anlieger haben erlebt, wie ruhig ihr Viertel ohne den Bring- und Holdienst sein kann", sagt er. Einige beschwerten sich über Eltern, die die Sperrung ignorierten. Sie schoben die Baken beiseite, um bis ans Schultor zu fahren. Das Ordnungsamt war vor Ort und verteilte Strafzettel. Am zweiten Tag war Trocha zum Schulbeginn vor Ort und wartete an den Baken, um mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. "Der Ton war ziemlich rau", sagt der Mobilitätsmanager. Auch eine Lehrerin war aufgebracht, weil er ihre Routine störte. Ihn schreckt das nicht. "Man muss die Dinge erläutern, wenn man etwas ändern will."